Aktenzeichen: I Ks 115 Js 10256/19
Datum: 27.01.2020
Vollständiger Urteilstext: https://www.gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de/bssh/document/NJRE001520897
Tötung zur Verdeckung eines Verstoßes gegen eine Gewaltschutzanordnung; niedrige Beweggründe trotz Verwurzelung eines Täters in einem anderen Kulturkreis
Leitsatz
1. Das Tatmotiv, die Ehefrau infolge der Wut und des Hasses auf Grundlage des Kontrollverlustes über die Familie, der mit einem Statusverlust einhergeht und eine narzisstische Kränkung darstellt, durch die Tötung abzustrafen, steht sittlich auf tiefster Stufe, auch wenn der narzisstisch akzentuierte Täter, bei dem es sich um einen Familienvater handelt, durchaus verzweifelt wegen der Trennung und des Verlustes seiner Kinder gewesen ist. Denn das die Tat prägende Motiv ist Ausdruck der Geisteshaltung des Täters, seine Familie geradezu als sein Eigentum zu begreifen und die Familienmitglieder zum Objekt seines Kontroll- und Machtanspruchs zu degradieren. Gerade die normalpsychologischen Emotionen wie Wut und Hass beruhen in einer solchen Konstellation ihrerseits auf niedrigen Beweggründen.(Rn.410)
2. Allein eine sog. Übertötung sowie die Spontanität des Tatentschlusses reichen auch bei einer hochgradigen affektiven Erregung für die Annahme eines Affektes im Sinne einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung nicht ohne Weiteres aus. Gerade bei Intimiziden ist eine hohe affektive Beteiligung des Täters vielfach anzutreffen, ohne dass bei diesen zwangsläufig eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung anzunehmen ist. Stattdessen ist eine Einzelfallprüfung, insbesondere anhand der von Saß aufgestellten und von Marneros weiterentwickelten Kriterien, vorzunehmen.(Rn.416) (Rn.445)
3. Die Diagnose eines Eifersuchtswahns im Sinne einer wahnhaften seelischen Störung erfordert eine gewisse Schwere und Einengung des Verhaltens und Denkens, um ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB zu erfüllen.(Rn.434)
Orientierungssatz
1. Bei einem Mord in Verdeckungsabsicht müssen die Tötung und die andere Straftat nicht im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander stehen; verdeckt werden kann vielmehr auch eine in Tateinheit stehende Tat, solange diese nicht dieselbe Angriffsrichtung wie die Tötung hat.(Rn.406)
2. Im Hinblick auf eine Tötung aus einem sonstigen niedrigen Beweggrund im Sinne des § 211 Abs. 2, 1. Gruppe StGB braucht der Täter die – rechtliche – Bewertung der Handlungsantriebe als niedrig nicht vorzunehmen oder nachzuvollziehen; auf seine eigene Einschätzung oder rechtsethische Wertung kommt es nicht an, soweit er an einer zutreffenden Wertung nicht aufgrund eines Persönlichkeitsmangels oder – im Falle eines Täters ausländischer Herkunft – einer so intensiven Verhaftung in den in seiner Heimat gelebten Anschauungen, die bereits einer Aufnahme und eines Nachvollziehens der in Deutschland gültigen sozialethischen Bewertungen seines Motivs entgegenstehen, gehindert ist (Anschluss BGH, Urteil vom 28. Januar 2004 – 2 StR 452/03).(Rn.409) Im Übrigen kann die Verwurzelung eines Täters in einem anderen Kulturkreis oder in einer bestimmten Glaubensform nur ganz ausnahmsweise die Ablehnung der subjektiven Seite niedriger Beweggründe rechtfertigen (Anschluss BGH, Beschluss vom 28. November 2017 – 5 StR 480/17).(Rn.415)
Tenor
Der Angeklagte wird wegen Mordes in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine eigenen notwendigen Auslagen sowie die notwendigen Auslagen des Nebenklägers.