Artikel 2 Grundgesetz:
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer
verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Die spezifische Ausformulierung des Artikel 2 GG erlaubt ein großzügiges Ausleben der eigenen Persönlichkeit und schränkt diese nur ein, wo a) juristisch festgeschriebene Rechte anderer, b) die verfassungsmäßige Ordnung oder c) das Sittengesetz verletzt werden. Der Begriff eines „Sittengesetzes“ scheint im Alltagsbewusstsein und zunehmend auch in der Rechtspraktik in Vergessenheit geraten sein.
Immerhin die Bundeszentrale für politische Bildung erinnert sich noch an die von den Verfassungsgebern vorgesehene Bedeutung, wenn sie schreibt: Trotz einiger Bedenken gegen den „engstirnigen Sittenrichter“ war man sich in der abweisenden Haltung gegen den Rechts-positivismus der Weimarer Zeit und das „völkische“ Rechtsideal der nationalsozialistischen Epoche grundsätzlich einig und auch allgemein davon überzeugt, daß ein ausdrücklicher Hinweis auf das „ethische Grundgesetz“ unumgänglich sei, weil in der Rechtsnorm selbst ihr sittlicher Gehalt nur selten richtig zum Ausdruck gebracht werden könne. Auch erschien es selbstverständlich, die Grundrechte als „vorund überstaatliche Rechte“, als „in der Natur und dem Wesen des Menschen angelegte Rechte“, als „natürliche gottgewollte Rechte“ oder „vorverfassungsrechtliche Grundrechte“ zu deuten.
Sie stellt dann aber fest: Die Vielzahl der Quellen, aus denen das Streben nach einer Rechtserneuerung gespeist wurde, wie es die Rechtswissenschaft der Nachkriegszeit kennzeichnet, konnte nicht ohne Auswirkung auf Begriff und Verständnis des in Art. 2 des Grundgesetzes genannten Sittengesetzes bleiben. Bereits die Schöpfer des Grundgesetzes hatten sich über dessen materiellen Inhalt nicht einigen können, da sich unter ihnen Vertreter der verschiedensten Weltanschauungen befanden. Deshalb mußte sich die Aufnahme des Sittengesetzes in das Grundgesetz von vornherein als ein dilatorischer Formelkompromiß erweisen, den anwendbar zu machen der Rechtsprechung und Wissenschaft aufgegeben wurde.
Offenbar haben Rechtsprechung und Wissenschaft es seither versäumt, dem Begriff des Sittengesetzes eine konkrete Bedeutung zu geben. Doch aus heutiger Sicht kann man eine definitive Antwort auf diese Frage geben. Folgende Feststellungen hierzu:
- Da es ein deutsches Grundgesetz ist, liegt es nahe, moralethische Schriften von Vertretern wie Hegel, Kant oder Fichte heranzuziehen.
- Die zu wählende Bedeutung muss hinreichend einfach sein, da der Artikel 2 des Grundgesetzes ein sogenanntes Jedermann-Recht ist, das nicht nur für alle Bürger gilt, sondern für alle Menschen, die sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik aufhalten.
Man wird nicht daran vorbeikommen, einen Blick auf Kants Metaphysik der Sitten zu werfen, in der er auch seinen berühmten Kategorischen Imperativ herleitet und beschreibt. Dieser begründet moralisches Handeln als zwingende Folge der Vernunft und fordert:
Dass jede individuelle Handlung so gewählt werde, dass die ihr zugrundeliegende Maxime eine allgemein gültige Verhaltensregel darstellt.
Hat man diesen weltbekannten und einfachen Regelsatz als eine sinnvolle und im Grunde sogar offensichtliche Ausformulierung des „Sittengesetzes“ erkannt, braucht man bezüglich der konkreten Bedeutung des Artikels 2 des Grundgesetzes nur weiterhin der Argumentation der Bundeszentrale für politische Bildung folgen: Hierbei muß davon ausgegangen werden, daß einmal die Bindung des Gesetzgebers an das Sittengesetz bezweckt war, so daß sittenwidrige Gesetze unter dem Grundgesetz keine Anwendung finden sollten. Zum anderen ist das Grundrecht der Entfaltung der Persönlichkeit durch das Sittengesetz beschränkt worden, so daß der Freiheit des einzelnen von der Moral her rechtliche Schranken gezogen werden.
Damit gilt:
- Das „Sittengesetz“ im Sinne des Artikels 2 (1) Grundgesetz ist der Kategorische Imperativ.
- Der erweiterte Rahmen des Sittengesetzes und damit einer immer wieder diskutierten Leitkultur ist die Vernunft, da der Kategorische Imperativ aus dem Vernunftbegriff abgeleitet und letzterer der zentrale Begriff deutscher Hochkultur ist, der von bedeutenden Vertretern wie Kant, Schopenhauer, Hegel, Engels uvm. bearbeitet und geprägt wurde.
- Jeder, der sich auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik aufhält, hat sich bei der Entfaltung seiner Persönlichkeit an dieses Sittengesetz zu halten, handelt verfassungswidrig, wenn dem nicht so ist.
- Die Bundesregierung darf keine sittenwidrigen Gesetze oder Verordnungen erlassen, da sie sonst Verfassungsbruch begeht.
- Wahrheitsverdrehungen, Manipulation, Ghosting, Gaslighting und andere typisch narzisstische Verhaltensweisen sind verfassungswidrig.
Siehe hierzu: Strafrecht