Reflektionen für Narzissten
Absichten, Strategien und Verhaltensweisen, sowie eine dritte Perspektive
Dokumentenstand: 4. Dezember 2024, 10:00 Uhr
Narzisst sind sie geworden, weil man Sie in Ihrer frühen Kindheit und Jugend grob vernachlässigt, ausgegrenzt, gedemütigt oder missachtet hat. Ungeachtet dessen, ob Ihr Narzissmus sich hauptsächlich eher grandios oder vulnerabel zeigt, liegt die Wurzel, der in diesem Zusammenhang stehenden bewußten und unbewußten Verhaltensweisen in einem bis zur Zerstörung hin beschädigten Persönlichkeitskern. Dieser Persönlichkeitskern, ihr Selbst in Begriffen Jung’scher Psychologie, verrottet in einer letzten Ecke Ihres Bewusstseins und verströmt fortwährend emotionales Leid und psychischen Stress in der Form von Scham, Minderwertigkeitsgefühlen, Verlassenheit und Wertlosigkeit. Zu irgendeinem Zeitpunkt, entweder bereits in ihren ersten Lebensjahren oder im früher jugendlichen Alter haben Sie Erfahrungen der Ausgrenzung, Missachtung und Vernachlässigung gemacht, die für Sie so schmerzhaft waren, dass Ihr Bewusstsein sich von Ihrem Persönlichkeitskern, Ihrem Selbst abgetrennt hat, die Identität mit diesem aufgab und ihn zurückließ, um nicht mehr dem Schmerz ausgeliefert zu sein, den dieses Selbst verspürt und in gewisser Weise erzeugt. Sie haben sich angewöhnt, dieses Selbst zu verachten, weil es Leiden verströmt.
Leiden, die Sie sich nicht in der Lage sehen, auszuhalten und irgendwo auf einer unteren Ebene ihrer heutigen Persönlichkeitsorganisation gehört es zu Ihrer Routine, auf dieses Selbst herab zu schauen, es zu verhöhnen, zu erniedrigen, zu entwerten, auszugrenzen und zu missachten. Die beschriebenen Umstände haben Sie in eine schwierige Situation gebracht. Denn wer sind Sie, wenn Sie nicht Ihr Selbst sind? Diese Frage beantworten Sie fortwährend neu in einem dynamischen Prozess, indem Sie sich nicht mit Ihrem Selbst, sondern mit Ihrer Persona identifizieren, dem zweiten großen Konstrukt der Jung’schen Psychologie. Sie sind nicht Sie selbst, sondern das Bild, das andere sich von Ihnen machen. Sie sind Ihr Ruf. Sie identifizieren sich mit dem, was andere Leute über Sie denken und diese Konstellation, dass Sie ihren eigenen Persönlichkeitskern und gleichsam auch den anderer Menschen missachten, ignorieren und entwerten, während Sie gleichzeitig auf Bestätigung von außen angewiesen sind, um eine positive Vorstellung von sich selbst aufrecht zu erhalten, sorgt für bisweilen äußerst erratische Verhaltensweisen, Strategien und verborgene Absichten, die dritten sehr unangenehm aufstoßen, sobald sie diese erkennen, weil sie im christlich geprägten Abendland, aber auch nicht nur dort, als ethisch-moralisch verwerflich gelten.
Aber der Reihe nach. Sie sind ja auch nur ein Mensch und zumindest aus Ihrer Sicht, ist Ihr Verhalten durchaus nachvollziehbar. Das fundamentale Bedürfnis, das Sie antreibt, ist in Wirklichkeit nicht die Befriedigung Ihrer eigenen Bedürfnisse – auch wenn andere Menschen das meist so wahrnehmen – sondern die Betäubung der psychisch-emotionalen Leiden, die das in irgend einer letzten Ecke Ihres Bewusstseins am Boden siechende Selbst verströmt. Aus Sicht der Psychologie bestehen viele Gemeinsamkeiten zwischen Narzissmus und Suchterkrankungen und in der Tat treten solche auch häufig als Begleiterscheinung zusammen mit Narzissmus auf. Als Narzisst fällt es Ihnen schwer, über sich selbst und andere Menschen zu reflektieren. Sie wissen nicht so recht, was in Ihnen vorgeht, weil Sie ja hauptanlässlich damit beschäftigt sind, genau diese Wahrnehmungen zu unterdrücken, klein zu reden, zu entwerten. Weil Sie den Eindruck gewonnen haben, dem nicht gewachsen zu sein. Weil Sie Ihr Selbst und seinen Schmerz verachten. Weil Sie als Ausgleich zu der inneren Scham, Erniedrigung und Abwendung nach einer äußeren Apotheose streben, die ein Gleichgewicht dazu herstellen soll. Die Wurzel von Narzissmus liegt in interpersonellem Trauma. Als Narzisst sind Sie nicht gänzlich zu Unrecht der Überzeugung, dass der Grund für Ihre oft negativen Launen in der Verantwortung anderer Menschen liegt. Es ist wahr: Man hat Ihnen großes Unrecht getan.
Die Menschen, die für Sie verantwortlich waren, die in der Pflicht standen, sich um Sie zu kümmern, als Sie das selbst noch nicht konnten, haben Sie enttäuscht, waren nicht gut genug, haben ihre eigenen Interessen höher bewertet, als Ihr Wohlergehen und Sie waren dem schutzlos ausgeliefert. Die grundlegende Überzeugung, dass andere für Ihren psychisch-emotionalen Zustand verantwortlich sind, Verantwortung für Ihr Denken, Fühlen und Handeln übernehmen sollen – gewachsen aus der Erfahrung der Vergangenheit – ist heute zu einem zentralen Mantra Ihres ganzen Seins geworden. Dass das so ist, fällt Ihnen schwer zu erkennen und noch viel schwerer einzusehen. Weil Sie in gewissem Sinn nicht anders können. Weil Sie jenen Anteil Ihrer Persönlichkeit, der Verantwortung übernehmen, Dissonanzen ertragen oder auflösen könnte, in einer Abwasserrinne Ihres Bewusstseins zurückgelassen haben. Sie brauchen andere Menschen! Nicht, weil Sie deren Anwesenheit so schätzen, sondern, weil Sie negative Gefühle und kognitive Dissonanz bei anderen abladen müssen, weil Sie selbst nicht über einen internen Mechanismus verfügen, um psychisch-emotionalen Stress abzubauen. Da Ihr nach wie vor leidendes Selbst unablässig Scham, Schmerz und Erniedrigung verströmt, baut sich in Ihnen fortwährend und ganz von alleine immer mehr negative Resonanz auf, die Sie irgendwann extern abreagieren müssen.
Sie brauchen dazu andere Menschen, denen Sie die Verantwortung für Ihren Zorn, Ihr Leid, Ihre Scham geben können. Aber Sie wollen nicht mit diesen Menschen verbunden sein und dass diese Menschen Ihr Inneres kennen, eben weil Sie sich so dafür schämen, Ihr ganzes Bewusstsein von diesem Selbst abgetrennt haben und entweder nach Bewunderung trachten – wenn Sie eher grandios sind, oder nach Mitleid – wenn Sie eher vulnerabel sind, um einen externen Ausgleich zu Ihrem entwerteten Inneren herzustellen. Auf die eine oder andere Art arbeiten Sie stets an ihrer externen Apotheose. Entweder, indem Sie Bewunderung oder Mitleid einholen oder, indem Sie anderen die Schuld geben und Sie dafür erniedrigen, dass Sie sich gerade nicht gut genug fühlen. Letzteren Falls neigen Sie zu Wutausbrüchen und Paranoia. Sie verdächtigen die Menschen Ihres Umfeldes: Irgend etwas hat man Ihnen schon wieder angetan. Sie wissen nicht so recht was, weil Sie ja alles tun, Ihr Selbst nicht wahrzunehmen, aber Sie spüren, dass etwas nicht stimmt und es muss jemand aus Ihrem Umfeld dafür verantwortlich sein, weil es Sie ja gar nicht gibt. Sie sind schließlich das hoffentlich positive Bild, das andere sich von Ihnen gemacht haben. Wenn Sie sich also schlecht fühlen, dann muss sich jemand anderes ein negatives Bild von Ihnen gemacht haben und das ist logischer Weise dessen Schuld. Als Narzisst – grundsätzlich aber insbesondere, wenn Sie vulnerabel sind – neigen Sie dazu, anderen nicht mitzuteilen, was Sie eigentlich bewegt.
Einerseits, weil Sie nichts Konkretes wollen, sondern in erster Linie Ihren Schmerz zu betäuben suchen, indem Sie sich in eine Phantasterei hineinstürzen, die andere für Sie aufrechterhalten sollen. Andererseits, weil Sie auch gar nicht wissen, was Sie brauchen, weil Sie sich von Ihrem Selbst, welches das Vermögen in sich birgt, Bedürfnisse zu Zielen zu Wertvorstellungen zu Visionen und Idealen zu entwickeln gänzlich distanziert haben. Als Narzisst haben Sie keine Ideale, Visionen, Ziele, Wertvorstellungen. Sie beneiden andere Menschen, die solche Selbst-Objekte besitzen darum und sind stets bestrebt, ihnen diese Objekte zu entreißen, sie zu zerstören. Weil Sie sich selbst daneben als verarmt und unterlegen erleben. Weil andere scheinbar mehr haben als Sie. Mitunter intrigieren Sie gegen solche Menschen oder versuchen ihnen auf irgendeine Weise zu schaden, weil Sie der Ansicht sind, sie würden Ihre Selbstobjekte protzig und angeberisch zur Schau stellen, um Sie damit zu erniedrigen und Sie wollen sich rächen für diese Schmach. Aber Sie kommunizieren auch mit solchen Menschen nicht aufrichtig, die weniger Selbstbewusstsein verströmen. Weil Sie niemandem vertrauen, weil Sie niemandem vertrauen können, weil Sie wissen, dass Sie den Schmerz und die Scham, die in Ihnen stecken schon jetzt nicht ertragen können und die Sache nicht besser wird, wenn man Sie weiter erniedrigt – was früher oder später passieren muss, weil Sie ja ständig die Bestätigung erhalten, dass man Sie eben nicht bedingungslos anbetet oder bemitleidet – die anderen also ganz eindeutig hinter Ihnen her sind.
Als Narzisst sehen Sie sich einem ständigen Katz- und Mausspiel um Bewunderung und Mitleid ausgesetzt, bei dem Sie andere Menschen abwechselnd als Erlöser und Verfolger erleben, die Ihnen diese Güter zur Verfügung stellen oder Sie Ihnen vorenthalten und Sie dadurch zu einem entwerteten und erniedrigtem Selbst degradieren. Sie sind sich in der Regel nicht bewusst, dass andere Menschen die Welt ganz anders erleben: Zunächst brauchen Menschen, die keine pathologischen Narzissten sind, diese Art der externen Validierung nicht, weil Ihre Persönlichkeitskerne von sich aus stabil sind und Sie können auch mit einer Menge Dissonanz und emotionalem Stress umgehen, ohne die Desintegration Ihrer Persönlichkeit fürchten zu müssen. Je nach Umfang ihrer Toleranz, Barmherzigkeit und individueller zwischenmenschlicher Nähe sind Menschen, die keine pathologischen Narzissten sind, durchaus bereit ein gewisses Maß an Leid anderer aufzunehmen und in gewissem Sinne mit zu verdauen und abzubauen. Aber es versteht sich auch, dass solche Dienstbarkeiten im Umfang begrenzt sind, weil solche Menschen den psychischen Stress, den sie anderen abnehmen, in eigener Arbeit abbauen müssen und sie das nach Möglichkeit tun sollen, ohne die aufgenommene Negativität erneut auf andere zu übertragen – etwa im eigenen häuslichen oder Arbeitsumfeld. Als Narzisst fehlt es Ihnen an dieser Erkenntnis. Sie wollen einfach Ihren emotionalen Ballast abladen und die anderen sollen sich nicht so haben, weil Sie im Grunde ja schuld daran sind, wie Sie sich gerade fühlen.
Früher oder später entstehen in solchen Dynamiken Streitigkeiten, in denen eine weitere Besonderheit Ihrer narzisstischen Persönlichkeit zu Tage tritt: Im Vergleich mit anderen Menschen fehlt Ihnen eine Eigenschaft, die Psychologen Objektkonstanz nennen. Objektkonstanz im psychologischen Sinne bedeutet, dass die geistig-emotionalen Repräsentationen von internen und externen Objekten auf der Zeitachse grundsätzlich konstant bleiben und sich nur unter Einfluss von signifikanten konkreten Erlebnissen ändern. Eine einfache Anwendung dieses Grundsatzes wäre zunächst die Feststellung, dass die Meinung eines Menschen sich im Allgemeinen nicht ändert, wenn die Umstände sich nicht ändern. Was man heute für richtig hält, ist morgen noch dasselbe. Einen Menschen, den man liebgewonnen hat, hält man weiterhin im Herz, solange kein besonderes Ereignis daran etwas ändert. Menschen, die keine pathologischen Narzissten sind, wenden viel Zeit, kognitive und emotionale Energie auf, um diese Objektkonstanz herzustellen. Sie fragen sich und andere Menschen nach Ihren Motivationen. Sie stellen Nachforschungen an. Sie beschäftigen sich mit Ethik und Moral, üben Disziplin, Entbehrung und bestrafen sich selbst für Wankelmut, um diese innere Ordnung herzustellen. Als Narzisst ist Ihnen diese Art psychischer Hygiene fremd. Ihre psychische Hygiene besteht darin, unangenehme Gedanken und Gefühle loszuwerden, indem Sie sie bei anderen abladen oder – wenn das gerade nicht geht, sich einzureden, dass die Dissonanz überhaupt nicht besteht, weil Sie den Zustand, wie er jetzt nun einmal ist, ja eigentlich immer schon so für sich wollten.
Als Narzisst sind Sie ein geübter Lügner. Nicht technisch gesehen, denn Sie glauben die meiste Zeit Ihre eigenen Lügen – etwa die, dass Ihre Persona ihr eigentliches Selbst sei und es nur legitim wäre, auf das irgendwo in der Gosse verrottende Selbst herab zu blicken und es zu verspotten. Aber andere Menschen glauben Ihnen früher oder später nicht mehr, weil Sie irgendwann merken, dass Konflikte, die man mit Ihnen hat, nie gelöst werden. Als Narzisst lösen Sie Konflikte, indem Sie so tun, als wären Sie nicht da. Sie vertagen die Diskussion und gehen davon aus, dass das Ganze damit vom Tisch ist. Weil es für Sie damit vom Tisch ist. Weil Sie ja allein auf externe Bewunderung oder Mitleid aus sind. Aber für andere Menschen ist der Konflikt damit völlig unverändert. Anders als Sie als Narzisst, der sich im Zweifel einfach eine neue Version von sich selbst überlegt und in Zukunft behauptet, den aktuellen Zustand schon immer so gewollt zu haben, müssen andere Menschen als Teil Ihrer psychologischen Hygiene einen Weg finden, den Konflikt zu bearbeiten. Sie müssen sich fragen, wer welchen Anteil daran trägt, ob und wie man ihn in der Zukunft vermeiden kann, was man daraus lernen kann und so weiter. Sie als Narzisst sträuben sich gegen diese Art der Konfliktbewältigung. Weil Sie sich davor fürchten. Weil Sie fürchten, dabei entblößt zu werden. Weil Sie fürchten, Verantwortung übernehmen zu müssen. Weil Sie nicht verstehen, wieso andere Menschen die Sache nicht einfach gehen lassen können, so wie Sie das tun.
Sie ändern einfach die Art und Weise, wie Sie sich anderen Menschen präsentieren und erzählen fortan, dass Sie schon immer das wollten, was Sie nun vor sich haben – auch wenn das ganz und gar gelogen ist und erwarten bewusst oder unbewusst, dass andere dasselbe tun. Weil Sie eben kein Selbst haben oder bewohnen, welches zwar zu Veränderung fähig, aber grundsätzlich zeitlich konstant ist. Obwohl Sie als Narzisst sich andauernd gegenüber anderen selbst neu erfinden, um dadurch das Maß an Bewunderung und Mitleid, das Sie erfahren zu maximieren, tun Sie das eben nur in dieser Erwartung. Sie fordern die gewählte Währung passiv-aggressiv oder durch gezielte Manipulation, Abwertung, Diffamierung oder sonst jedes Mittel ein, mit dem Sie glauben, es zu bekommen. Denn grundsätzlich widerstrebt es Ihnen zutiefst, irgendeine Anstrengung zu unternehmen, dem Selbst eines anderen Menschen zu gefallen, oder – noch schlimmer – dieses auch noch aufzuwerten, sodass dieses am Ende über Ihnen thront und Sie als seinen niederen Knecht verspottet. Sie wehren sich dagegen, gut zu anderen sein zu müssen. Gerne auch mit zur Waffe umfunktionierter Inkompetenz. Sie tun so, als würden Sie nicht verstehen, was die anderen sich erwarten und lassen sie endlos lamentieren, um dann völlige Konsternierung vorzuspielen und Bedenkzeit zu beanspruchen. Selbstredlich allein, um sich dann davonzuschleichen und nun so zu tun, als hätte die Unterredung nicht stattgefunden.
Ihr eigenes bedürftiges Selbst widert Sie schon an. Sie, in der Unverwundbarkeit Ihrer apotheotischen Persona. Aber bedürftige Selbste anderer Menschen sind wirklich unerträglich. Insbesondere, wenn sie ihre Bedürftigkeit frei äußern. Ein paar Tage oder Wochen bewundern Sie vielleicht den Mut dieser Menschen, weil sie sich in ihrer Offenheit so angreifbar machen, wie Sie das niemals könnten. Früher oder später stellt sich aber wahrscheinlich bei Ihnen eine Form der Gleichgültigkeit, Abneigung oder Berechnung bezüglich der Bedürfnisse anderer ein. Wenn jemand Sie bittet, ihn bei einer Veranstaltung zu begleiten, die für diesen wichtig ist, sagen Sie im letzten Moment ab, weil Sie sich angeblich schlecht fühlen. Sie ekeln sich nämlich vor dem Gedanken, dass jemand anderes im Mittelpunkt steht und wertgeschätzt wird. Das wäre so, als würde man das Geld anderen einfach hinterherschmeißen. Wenn Sie überhaupt auf solche Bedürfnisse eingehen, dann mit der Berechnung eines Kredithais, der sich seine Marge sichert. Es ist Ihnen völlig egal, ob der andere Ihnen schon zigmal aus der Patsche geholfen hat. Jetzt sind Sie dran und jetzt wird der Spieß umgedreht. Sie bestimmen jetzt, wo es langgeht und der andere soll gefälligst zahlen, wenn er schon an Ihre Kohle, also ihr Mitgefühl, Ihre Aufmerksamkeit dran will. Früher oder später weicht die anfängliche Bewunderung, die Sie manchmal gegenüber Menschen verspüren, die Ihre Bedürftigkeit frei äußern und verkehrt sich zur Verachtung. Dieser Abschaum verdient es nicht anders, als erniedrigt zu werden, wenn er schon dumm genug ist, eine derartige Angriffsfläche zu bieten.
Im Grunde müssten die Ihnen hinterher dankbar sein dafür, dass Sie sie erleuchtet haben, indem Sie ihre Bedürftigkeit ausgenutzt haben, um sich zu bereichern, sich über sie zu erheben, sie zu verspotten und zu erniedrigen. Nach solchen Episoden verachten Sie alle um sich herum ganz besonders. Weil sie selbst schuld sind, dass es so kommen musste und Sie verfluchen Ihr Umfeld, weil Sie von lauter Versagern umgeben sind. Aber Sie wissen auch ganz genau, dass Sie Menschen, die mehr von ihren eigenen Qualitäten überzeugt sind als Sie, überhaupt nicht in die Augen schauen können und deshalb suchen Sie sich gezielt Menschen, auf die Sie in irgendeiner Weise herabschauen können, um von diesen Bestätigung oder Mitleid zu erfahren. Sie dürfen davon ausgehen, dass Ihr nutzenoptimiertes Geschacher um Aufmerksamkeit, Mitgefühl, Bewunderung und Sonderbehandlungen bei nahestehenden Menschen irgendwann zu großer Enttäuschung, sogar dem Eindruck eines gezielten Betruges führt, wie ihn ein Heiratsschwindler durchführen würde, weil Menschen, die keine pathologischen Narzissten sind, gerne für die Menschen da sind, die sie lieben und das Gleiche auch von denen erwarten. Sie brechen diese Erwartung, weil Sie getane Gefallen nicht unbedingt erwidern und man juristisch betrachtet durchaus von einer Leistungserschleichung sprechen kann, für die Sie Geld bezahlen müssten.
Ihre mangelnde Objektkonstanz äußert sich mitunter auch noch auf eine andere Art und Weise, die unter Psychologen als Spaltung bekannt ist. Diese Wahrnehmungsstörung wurzelt in frühesten Kindheitserfahrungen der ersten zwei bis drei Lebensjahre, als Sie Menschen, insbesondere Ihre Mutter noch nicht als Ganzes erfassen konnten. An Stelle der Frau, die Sie war, begriffen Sie zunächst allein eine Brust, die eine gute, erfüllende, heilige Brust war, wenn Sie schnell auf Ihr Schreien reagierte und Ihren Hunger stillte. Aber Sie begriffen bisweilen auch eine andere Brust. Eine, die Sie missachtete, die Sie schreien lies und nicht sogleich kam, um Sie zu stillen. Wenn es länger dauerte, wurden Sie ängstlich und zornig, denn es ging um Ihr Leben und manchmal verachteten Sie diese Brust, die nicht kam. In Ihrer Vorstellung kratzten, bissen und zerfetzten Sie diese Brust, weil sie Sie so leiden ließ, sie missachtete, Ihr Leid nicht sah. Und weil Sie die Brust in Ihrer Vorstellung so massiv angriffen, mussten Sie irgendwann deren Rache fürchten. Dadurch wurde die Brust zu einem bösen Dämon, der Sie verfolgt, Sie verspottet, bedroht und jederzeit überfallen könnte, um Ihnen alles Gute wegzunehmen. Sie konnten in diesen frühen Tagen noch nicht erkennen, dass die gute, heilige Brust und die dämonische in Wirklichkeit ein und dieselbe waren und zu der Frau gehörten, die Ihre Mutter war. Diese gespaltene Wahrnehmung befand Melanie Klein in ihrer Objektbeziehungstheorie als Charakteristikum der sogenannten Schizoiden Position eines Neugeborenen.
Die schizoide Position wird gewöhnlich zu einem späteren Zeitpunkt von der Depressiven Position abgelöst, bei der die aufgespaltenen Objekte zu ganzheitlichen zusammengeführt werden und das Kind erkennt, dass seine Mutter eine Frau ist, die weder heilig noch dämonisch ist, sondern angenehme und unangenehme Eigenschaften hat. Als Narzisst haben Sie die Depressive Position vielleicht nie wirklich erreicht. Ihr Hass auf die böse Brust und gleichzeitig Ihre Angst vor ihr waren so groß, dass das zusammengesetzte Objekt Ihrer Mutter für Sie nicht stabil gewesen wäre. Sie hätten das zusammengesetzte Objekt so verachtet und sich so davor gefürchtet, dass Sie sich in einer lebensbedrohlichen Situation befunden hätten – weil Sie Ihrer Mutter nun einmal ausgeliefert waren. Daher erlangten Sie die depressive Position nur teilweise oder gar nicht und weil das so ist, neigen Sie auch heute noch dazu, ein und dieselben Menschen auf zwei weitgehend getrennte Arten wahrzunehmen. Mal sind diese Ihr Heiland – dann, wenn Sie Ihre Bedürfnisse erfüllen und im nächsten Moment ein Dämon, der Sie mit kalter Fratze verfolgt – dann, wenn sie es nicht tun. Sie tun sich schwer, diese beiden Vorstellungen von ein und demselben Menschen, die Sie in sich tragen, zu einem Kontinuum aus angenehmen und unangenehmen Eigenschaften zu vereinen. Sie haben ständig paranoide Gedanken, ob der Mensch Ihnen nicht am Ende doch feindlich gesinnt ist und Sie das Weite suchen müssen.
Zum einen, weil Sie andere testen wollen, sogar glauben, die anderen testen zu müssen, ob sie Ihnen wohlgesonnen oder feindlich sind. Zum anderen, weil Sie nie so recht wissen, ob etwas, das Sie beobachten, zu Ihnen gehört oder zu einem anderen, neigen Sie bisweilen auch zu einer komplexen Mischung aus Wahrnehmungs- und Verhaltensstörung, welche Psychologen Projektive Identifikation nennen. Wenn Sie eine negative Eigenschaft beobachten, stellt sich für Sie die Frage, ob diese zu Ihnen oder zu einem anderen gehört. Wenn Sie zu Ihnen gehörte, stellte sich die Frage, wie Sie zu Ihnen gekommen wäre. Weil es Sie ja eigentlich nicht gibt. Weil Sie ja das Bild sind, das man sich von Ihnen macht. Wenn Sie also eine negative Eigenschaft hätten, dann hätte ein anderer die Ihnen sozusagen injiziert und Sie müssten ihm diese so heimtückisch zurückgeben, wie der sie Ihnen untergeschoben hat. In diesem Fall, aber auch, wenn sie einfach testen wollen, neigen Sie dazu, andere zu provozieren und genau das Verhalten, das Sie mit der negativen Eigenschaft in Verbindung bringen, zu evozieren und dann entsetzt und entrüstet festzustellen, dass der andere eben doch die negative Eigenschaft hat und natürlich immer hatte. Weil der ja mit seinem Verhalten gerade den eindeutigen Beweis geliefert hat. Sie fürchten sich so vor unangenehmen Eigenschaften anderer Menschen, dass Sie äußerste Extremsituation provozieren und das Auftreten der gefürchteten Verhaltensweisen in diesen Extremsituationen als Beweis für die Berechtigung Ihrer Paranoia sehen. Abgesehen von Projektiver Identifikation sind Sie mitunter aber auch einfach hyper-fokussiert auf Ihr Bedürfnis, Aufmerksamkeit zu generieren. Sie steigern sich in einen Wahn hinein, bei dem Sie sich im Wesentlichen wie ein Neugeborenes verhalten, das nach seiner Mutter schreit, wobei Sie es einzig und allein darauf abgesehen haben, irgendeine emotionale Reaktion hervorzurufen – egal ob zornig oder wohlwollend.
Sie provozieren fürchterlich und werden immer zorniger und verzweifelter, wenn andere nach einer Atempause bitten, weil Sie Ihre Bedürftigkeit einfach nicht im Griff haben. Sie streiten, zetern, fordern, laufen den anderen noch aus der Wohnung nach, weil Sie meinen, jetzt unbedingt bemuttert werden zu müssen und Sie provozieren die anderen, bis diese vollkommen entnervt und zornig sind. Das ist für Sie in solchen Momenten egal. Der Zorn der anderen ist Ihnen auch recht, schlimm wäre nur deren Gleichgültigkeit.
Wenn Sie hauptsächlich vulnerabler Narzisst sind, fehlt Ihnen ebenso das Gespür dafür, was Sie bei anderen Menschen auslösen, wie als grandioser – und das, obwohl Sie sich als taktvoll und feinsinnig sehen und das in gewissem Umfang auch richtig ist. Prahlereien stoßen Sie ab. Die anderen sind für sie völlig selbstsüchtige Egomanen. Sie verstehen nicht, dass andere Menschen begrenzte Kapazitäten für jemanden haben, der fortwährend Leid herbeischleppt und dieses Leid in die Leben anderer Menschen tragen möchte, damit sie Anteil daran nehmen und mit ihm leiden. Sie möchten gerne sehen, wie andere sich angesichts Ihres Leides in den Staub werfen und mitleiden. Andere sollen verzweifeln angesichts Ihres Leides. Sie sollen tränenüberströmt zusammenbrechen, weil Sie so sehr leiden und wie der Heilige Geist wollen Sie aus dem Schmerz und Niedergang der überall versiegenden Hoffnung emporsteigen, um als ein Mahnbild für alle Zeit am Sternenhimmel erinnert zu werden. Wenn Sie stattdessen ein grandioser Narzisst sind, gilt Vergleichbares. Nur dass Sie durch Bewunderung, nicht Mitleid unsterblich werden wollen.
Wahrscheinlich das größte Problem überhaupt in Ihrem Zusammenspiel mit anderen Menschen ist Ihre Empfindlichkeit gegenüber Kritik. Dies trifft besonders zu, wenn Sie vulnerabel sind aber durchaus auch für grandiose Narzissten. Grandiose Narzissten neigen bei Kritik zu Racheakten in der Form von Beschimpfungen, Schmähung, übler Nachrede oder Vergleichbarem und stellen so Ihre innere Weltordnung wieder her. Vulnerable Narzissten neigen dazu, darunter fürchterlich zu leiden, sich ausgegrenzt, missverstanden und gedemütigt zu fühlen – was sie zu demonstrativem Protest veranlasst, mit dem sie das Unrecht, das man ihnen angetan hat, wieder auszugleichen suchen. Andere Menschen spüren die Empfindlichkeit von Narzissten, auch wenn dies nicht direkt angesprochen wird und versuchen in aller Regel die Tiraden, die sie nur allzu gut kennen, zu vermeiden, indem sie sich ganz besonders vorsichtig verhalten. Es lässt sich aber da, wo Menschen eng zusammenleben, nun einmal nicht vermeiden, dass man es mitteilt, wenn etwas stört und dabei ist, zum Problem zu werden. Als Narzisst sind Sie unflexibel in solchen Belangen. Wenn Sie kritisiert werden – auch wenn es um minimale Verhaltensänderungen geht, die ein angenehmeres Zusammenleben ermöglichen sollen, reagieren sie so gekränkt oder empört, dass die eigentliche Angelegenheit vollkommen in den Hintergrund rückt und es in der Folge nur noch darum geht, den Hausfrieden wiederherzustellen. Sie ändern Ihr Verhalten dann auch nicht – schon allein aus Protest, weil die anderen Sie gefälligst nicht so erniedrigen sollen – egal um welche Banalitäten es geht. Sie im Gegenzug neigen dazu, Ihre Umgebung zu kontrollieren. Dies betrifft sämtliche Tagesabläufe, an denen Sie oder andere Menschen Ihres Umfelds beteiligt sind, die Menschen selbst, deren Gedanken, Beschäftigung, regelmäßige Aufenthaltsorte, Gefühle, Wünsche und Wunschvorstellungen. Sie wollen all diese Dinge bestimmen und kontrollieren, fühlen sich bedroht, wenn andere Menschen selbstständig agieren und dabei Gedanken und Interessen verfolgen, die Sie nicht kennen oder nicht verstehen. Sie neigen zu Paranoia in Bezug auf die Menschen in Ihrem engen Umfeld.
Sie könnten sich jederzeit gegen Sie wenden, Sie kritisieren, Ihnen Mitleid oder Bewunderung entziehen oder erfolgreicher werden als Sie. Solche Gedanken versetzen Sie in Angst und Schrecken und Sie müssen sie kontrollieren, indem Sie die anderen kontrollieren. Wann immer Menschen aus Ihrem Umfeld, eine Erfolgssträhne haben, eine neue Leidenschaft entdecken, eine neue Ausbildung beginnen oder sich einer neuen Gruppe anschließen, schrillen bei Ihnen alle Alarmglocken und Sie wittern Gefahr aus allen Richtungen. Ein Mensch, der mit irgendetwas glücklich ist, wird dieser Angelegenheit fortan mehr Aufmerksamkeit widmen und das bedeutet weniger Aufmerksamkeit für Sie, weniger Mitleid und Bewunderung. Sie können nicht zulassen, dass jemand aus Ihrem Umfeld mit etwas glücklich ist. Am Ende würde er mit dieser Sache, diesem Objekt oder was es auch ist einfach durchbrennen und irgendwo ohne Sie glücklich werden. Nicht auszudenken, was das für eine Schmach wäre, wenn man Sie auf diese Art demütigen würde. Sie wollen Ihre Mitmenschen lieber nicht so glücklich und Sie wollen Sie auch nicht so erfolgreich. Zwar ärgert es Sie durchaus, dass Sie keine besseren Leute zur Verfügung haben, aber das Risiko wäre bei besseren Leuten einfach zu groß. Sie wollen Ihre Leute klein und abhängig. Weniger glücklich und weniger erfolgreich als Sie und Sie sind auch jederzeit bereit, in deren Leben einzugreifen, wenn sich die Möglichkeit bietet, um damit sicherzustellen, dass das auch so bleibt. Wenn jemand eine neue Leidenschaft entwickelt, reden Sie sofort schlecht davon und werten das Umfeld, in dem die Sache stattfindet oder die Angelegenheit an sich ab. Wenn jemand dabei ist, erfolgreicher zu werden, als Sie, fingieren Sie ein Gebrechen und nötigen ihn, sich mehr um Sie zu kümmern. Wenn Sie können, versuchen Sie zu verhindern, dass jemand erfolgreicher wird als Sie. Etwa indem Sie ihm einreden, er hätte nicht das Zeug dazu oder indem Sie Ratschläge verteilen, die allein in Ihrem Sinn sind. Aber Sie können sich auch durchaus aktiv einem Begehr entgegenstellen. Es erübrigt sich wohl, all dies zu kommentieren.
Zu einem gewissen Teil sind es auch Missverständnisse, die zwischen Ihnen und anderen Menschen stehen. Sie verstehen die anderen nicht so ganz und die verstehen Sie nicht. Der Grund dafür ist, dass Ihnen eine Fähigkeit fehlt, die andere Menschen, die keine Narzissten sind, haben: Empathie. Wahrscheinlich überrascht Sie diese These, wo doch kaum jemand so viel wie Sie über andere Menschen nachdenkt. Sie denken ständig darüber nach, wie Sie diesen oder jenen dazu bekommen, sich auf eine ganz bestimmte Art zu verhalten. Dinge zu tun, die Sie von ihm erwarten. Dinge zu sagen, die Sie hören wollen und oft schaffen Sie es ja auch, genau die Reaktionen und Verhaltensweisen zu evozieren, die Sie von anderen sehen wollen. Sie sind geschickt darin, anderen Schuldgefühle einzureden und Sie für unangenehme Gefühle verantwortlich zu machen, die Sie verspüren. Sie wissen, wie man aus einer Situation, in der zehn Menschen sich an die Gurgel gehen, hervorgeht als der Einzige, der wirklich gar nichts dafür kann. Sie wissen vielleicht auch, wie man bei neuen Bekanntschaften den Eindruck erweckt, ein fein kultivierter Mensch von noblem Rang zu sein, dessen Sitte und Anstand allen ein Vorbild sind. Wie könnte man behaupten, dass Sie keine Empathie haben, wo Sie es regelrecht professionalisiert haben, bei anderen Menschen Gefühle, Reaktionen und Verhaltensweisen zu evozieren, so wie Sie das gerade sehen möchten? Es ist in der Tat nicht ganz richtig zu sagen, Sie hätten gar keine Empathie. Sie haben das, was man Kognitive Empathie nennt. Sie schlussfolgern über den inneren Zustand anderer Menschen. Sie tasten sie methodisch ab und finden heraus, wie diese auf Ihre Versuche, bestimmte Verhaltensweisen zu evozieren, reagieren. Wenn die eine Methode nicht funktioniert, probieren Sie eine andere und wenn Sie einen Weg gefunden haben, wie Sie Mitleid oder Bewunderung extrahieren können, bleiben Sie dabei, bis es notwendig wird, das Verfahren zu ändern oder Sie das Interesse verlieren, weil Sie gerade genug Mitleid oder Bewunderung von jemand anderem erfahren.
In so einem Fall stellen Sie diese Menschen auf einer Art Warmhalteplatte ab, falls Sie später noch einmal mehr Mitleid oder Bewunderung brauchen sollten. Insofern kann man wirklich nicht behaupten, Sie wüssten nicht, wie man mit Menschen umgeht. Auf eine gewisse Weise wissen Sie das besser, als wahrscheinlich die allermeisten – und doch ist es so, dass Sie keine Empathie im eigentlichen Sinn besitzen, denn dies würde bedeuten, dass Sie den Gefühls- und Bewusstseinszustand von anderen Menschen – gegeben eine Vorstellung von deren Situation – selbst empfinden und das können Sie eben nicht. Sie wissen ebenso wenig, was andere Menschen erleben, wie Sie in Bezug auf sich selbst wissen, was eigentlich gerade mit Ihnen passiert. Weil Sie ja nicht mit Ihrem Selbst in Kontakt stehen, das diese Wahrnehmungen möglich macht. Genauso, wie Sie über den Gefühls- und Bewusstseinszustand anderer Menschen schlussfolgern müssen, weil Sie ihn eben nicht direkt erleben, müssen Sie das bei sich selbst tun. Zum Beispiel bemerken Sie vielleicht zu einem Zeitpunkt, dass Sie sich gerade nicht wertvoll genug fühlen und dann schließen Sie daraus, dass jemand in Ihrem Umfeld etwas getan haben muss, das zu dieser Wahrnehmung geführt hat. Sie wissen nicht, was es genau war und vielleicht noch nicht einmal wer dafür verantwortlich ist, aber für Sie ist klar, dass Ihnen jemand etwas angetan hat, oder etwas unterlassen hat, das er eigentlich hätte tun müssen und im Ergebnis fühlen Sie sich nun schlecht. Klar, dass Sie sich beschweren! Was da genau im Argen liegt, das soll bitte der herausfinden, der für diese Misere verantwortlich ist. Diese Art zu denken, wirkt sehr erratisch auf andere Menschen, weil diese viel stärker mit der sie umgebenden Welt verbunden sind, als Sie. Andere Menschen nehmen direkt war, wenn etwas sie glücklich macht oder verletzt und sie wissen auch genau, was es war, das zu diesem Erlebnis geführt hat. Für Menschen, die keine Narzissten sind, verhält es sich mit emotionalen Wahrnehmungen recht analog zu akustischen, haptischen oder visuellen. Sie sind direkt, unmittelbar und selbstevident.
Andere Menschen müssen an dieser Stelle viel weniger schlussfolgern, weil sie unmittelbar erleben, was sich gerade zuträgt. Empathie meint konkret die Fähigkeit, emotionale Wahrnehmungen nicht nur relativ zu gegenwärtigen Situationen empfinden zu können, sondern auch zu nachempfundenen und rein hypothetischen. Diese Fähigkeit ist auch ein zentraler Schlüssel bei der Speicherung und Abrufung von Erinnerungen. Weil Ihnen als Narzisst diese Empathie fehlt, ist Ihr Erinnerungsvermögen deutlich schlechter als das von Menschen, die keine Narzissten sind. Wenn Sie als Narzisst einen Streit mit einem anderen Menschen erleben, bietet es sich an, diese potenzielle Quelle von Mitleid oder Bewunderung einfach zunächst bei Seite zu legen und sich anderen Quellen zu widmen. Denn nach einigen Monaten oder Jahren ist alles, was sich damals zugetragen hat für Sie so verschwommen und versiegt, dass Sie einfach so tun können, als wäre nie etwas passiert. Auch das erleben andere Menschen völlig anders. Insbesondere an einschneidende Erlebnisse, wie Enttäuschungen erinnern Sie sich oft ein Leben lang und tatsächlich ist das bei Ihnen als Narzisst genauso. Sie erwarten in gewissem Sinne, dass die anderen eine Sache, die zwischen ihnen vorgefallen ist, ebenso vergessen, einfach weil Sie in der Folge keine Motivation hatten, sich mit der verbrannten Erde zu befassen. Wenn Sie dann nach längerer Zeit zum Unfallort zurückkehren, um nachzusehen, ob es inzwischen wieder neue Bewunderung oder Mitleid abzugrasen gibt, ärgern Sie sich vielleicht darüber, wie andere, nachdem man sie Monate oder Jahre ignoriert hat, so kleinlich sein können, immer noch über einen Umstand verdrossen zu sein, an den Sie sich schon gar nicht mehr erinnern können. Warum sollten Sie sich jetzt diese Gebrechen anhören, obwohl Sie schon vor einer Ewigkeit damit abgeschlossen haben und die Sache Sie noch nie interessiert hat, weil Sie ja andere Quellen hatten? Es erübrigt sich wahrscheinlich, es zu erwähnen, aber Sie selbst als der Zurückgelassene würden in so einer Situation einen Raptus aufführen, wie er seines Gleichen sucht. Sie würden zu Racheakten greifen, Schmierkampagnen beginnen, Freunde und Verwandte gegen denjenigen aufhetzen und alles in Ihrer Macht Stehende tun, dem Übeltäter ein möglichst unangenehmes Leben zu bereiten.
Sie messen stets mit zweierlei Maß und bemerken oder beachten nicht, dass andere Menschen selbstverständlich dieselbe Menge Mitgefühl oder Bewunderung, die sie Ihnen entgegenbringen, im Gegenzug von Ihnen erwarten. Sie brüskieren all diese Erwartungen, entwerten und entehren die Menschen, die auf Sie eingehen und widmen sich dann, wenn es unbequem wird, einfach einer neuen Quelle. In diesem Doppelstandard offenbart sich Ihre Anspruchshaltung, insbesondere dann, wenn Sie ein vulnerabler Narzisst sind, der ansonsten in keiner Weise so auffällt, wie ein prahlender grandioser das tun würde. Sie glauben, dass Sie Anspruch auf eine Sonderbehandlung haben, die Sie im Gegenzug aber anderen nicht gewähren und das ruiniert früher oder später die aller meisten Ihrer Verhältnisse. Weil Sie die anderen einfach nur benutzen, um sich selber besser zu fühlen, während es Ihnen völlig egal ist, was Sie bei denen auslösen. Wenn Sie es als Narzisst schaffen, eine Beziehung dauerhaft aufrecht zu erhalten, dann ist dies meist mit einem Partner, auf den Sie auf eine gewisse Weise herabblicken können und der gleichzeitig eine beständige Quelle von Mitleid oder Bewunderung darstellt. So eine Investition kann sich für Sie lohnen und je nachdem, wie geschickt Sie in der Erschließung neuer Quellen sind, werden Sie mehr oder weniger von einer solchen Partnerschaft abhängig sein und mehr Zeit in grandiosen oder vulnerablen Zuständen verbringen. Über längere Zeiträume gesehen, wechseln sich diese Zustände ab. Je nachdem, wie zerstört oder noch funktional Ihr Selbst tatsächlich ist und inwiefern Sie noch in Kontakt mit diesem stehen, können Sie Liebe und Verbundenheit zu anderen Menschen zwar empfinden. Aber Sie äußern diese Gefühle meist nicht, aus Angst, sich angreifbar zu machen, zurückgewiesen und entblößt zu werden. Aus Sicht der anderen ist es müßig und unerfreulich, darüber zu räsonieren, ob jemand, der einen lieben soll, einfach nur zu schwach ist, das konkret zum Ausdruck zu bringen oder ob man diesem Menschen einfach ganz und gar egal ist.
Was Sie als Narzisst am meisten ängstigt, das ist der Gedanke, dass Ihre Quellen versiegen, dass man Ihnen das Mitleid, die Bewunderung, die Aufmerksamkeiten und Sonderbehandlungen, auf die Sie so pochen entzieht. Wenn Sie davon nicht genug erhalten, erleben Sie einen Kollaps. Die Festung Ihrer externen Apotheose stürzt ein und Sie sitzen in der miasmischen Wolke aus Scham, Minderwertigkeit und Demütigung, die das Selbst, das Sie so verachten verströmt. Sie haben gegen Mammon, den Gott der Juwelen und Reichtümer, der unbelebten Materie gesündigt, dessen Priester, Avatar und Eiferer Sie sind und nun verdienen Sie die funkelnden Objekte nicht mehr, mit denen Sie sich zu schmücken pflegen, um die stinkende Wolke, die in Ihnen wabert, damit zu überdecken. Sie ziehen sich zurück, gehen in die Wüste, weil Sie sich zu sehr schämen, als dass Sie noch jemand in die Augen schauen könnten. Sie betäuben sich mit Alkohol oder Schmerzmitteln die Sie bekommen und sind in der ersten Zeit akut gefährdet, Selbstmord zu begehen.
Sie sind nun auf der Suche, wie ein gottesfürchtiger Christ, der in der Wüste sein Licht sucht. Es kann Monate oder Jahre dauern, bis Sie aus der Wüste zurückkehren und meistens finden Sie Ihr Licht einfach in der Form, dass Sie erneut Ihre Festung errichten, behaupten jemand zu sein, der Sie nicht sind, weil Sie dieses Selbst – sein Leid und seine Scham – einfach so verachten, dass Sie ihm nicht vergeben und es erneut bewohnen können. Sie ziehen wieder hinaus, suchen wieder Mammons Objekte, werden wieder ein Todespriester, der von anderen Opfer fordert. Aber mit jedem Kollaps glauben Sie weniger daran, der Auserwählte zu sein, der dadurch in den Olymp aufsteigt. Je öfter und heftiger Sie kollabieren, desto mehr wird der Opferkult, den Sie errichten und für den andere ihr Blut vergießen und Brandopfer darbringen sollen, zu einem laborösen Gebrauchtwarenhandel mit altem Schnickschnack, mit dem man törichte Weiber übers Ohr haut. Immer weniger glänzen der Händler, die Kunden und die Objekte selbst, die dort über den Ladentisch gehen und es braucht mehr und mehr Betäubung, um sich von dieser Realität abzulenken.
Je öfter Sie kollabieren, desto kleiner wird der Unterschied zwischen dem gefallenen äußeren Gott und der miasmischen Wolke Ihrer inneren Zerstörung. Mehr und mehr können Sie diesen modernden Haufen betrachten, der Sie irgendwann einmal waren, bevor man Sie so deformiert hat, dass Sie es einfach nicht mehr aushielten. Sie verachten dieses faulende Selbst – seinen Schimmel, seine Warzen, seinen Gestank. Sie verachten seine unästhete Entstellung, seine entwertete Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Es ist schwer für Sie, sich diesem Geschwür zu nähern. Weil es nichts zu gewinnen gibt und Sie das Wertlose verachten. Funkelnde Objekte werden begehrt und gesehen, bekommen Aufmerksamkeit, Beifall und Mitgefühl. Nicht entstellte Krüppel, die in Ihrem eigenen Saft dahinschmoren. Aber je mehr Sie sich mit diesem Selbst beschäftigen, je mehr Sie es schaffen, seine Wunden zu versorgen, desto mehr bekommen Sie sich selbst zurück. Je mehr Sie sich durch den Schmerz, die Scham und die Verzweiflung kämpfen, desto mehr werden Sie dahinter eigene Wünsche, Wertvorstellungen, Visionen finden. Je mehr Sie dieses Selbst umarmen, desto weniger werden Sie andere brauchen, die Ihnen Aufmerksamkeit, Mitleid, Ablenkung schenken. Was es in der Tat zu gewinnen gibt, ist letztlich Ihre Freiheit. Freiheit von den verfolgenden Gedanken, die andere sich über Sie machen. Freiheit von bedrohlichen Abwesenheiten. Von Interessen, die andere glücklich machen. Freiheit von der Notwendigkeit, sich so zu präsentieren, dass andere Mitleid oder Bewunderung geben. Freiheit von der Angst, dass andere größer sind oder mehr haben. Freiheit, eigene Gedanken und Wege zu entwickeln und ihnen selbst nachzugehen.
Ob Sie den Weg zurück zu Ihrem Selbst gehen, ist allein Ihre Sache und da liegt schon das nächste Problem. Denn alles, was Sie tun, tun Sie in der Erwartung eines Lohnes, den Sie dafür bekommen möchten. Mitleid, Bewunderung, Sonderbehandlungen, Zuwendung, Unterstützung – alles, was den Säckel Ihres Kultes praller macht, weil Sie nun einmal ein Gottpriester des Juwelenkönigs der materiellen Güter sind. Für einen neuen Weg, auf dem Sie nicht mit funkelnden Edelsteinen, sondern mit eigenen Gedanken, Zielen, Werten und Wünschen belohnt werden, haben Sie wenig Motivation. Vielleicht kommt diese nach und nach, je mehr Sie Ihre Freiheit lieben lernen. Je mehr Sie dankbar sind, dass der Spuk ein Ende hat, dass Sie ständig irgendwelchen glänzenden Objekten hinterherlaufen müssen, von denen Sie genau wissen, dass sie innen hohl sind, dass sie Sie nicht ausfüllen, sondern nur immer weiter aufplustern können. Sie wissen, dass der Mammon all Ihre Probleme nicht löst. Er gibt Ihnen nicht die Sicherheit, die Sie suchen und nicht die Verbundenheit, die Sie sich einreden, nicht zu brauchen, während Sie fortwährend um die Gunst anderer Menschen betteln, die für Sie so lebensnotwendig ist, dass Sie Ihre eigene Bedürftigkeit und die Menschen, die sie bedienen, einfach nur verachten können. Sie wissen, dass Sie sich nur betäuben und vor allem und jedem auf der Flucht sind. Vor allem vor sich selbst! Sie wissen, dass Sie alle belügen und manipulieren müssen, weil Sie sich nicht trauen, zu sich selbst zu stehen. Sie überladen sich mit funkelnden Objekten, die sie anderen rauben, stehlen plündern und entreißen, um unter einer möglichst dicken Schicht aus Gold und Juwelenstaub, sich selbst möglichst wenig sehen zu müssen.
Es ist ein Gebet Ihr Leben – für die Verachtung, für Selbsthass und Selbstaufopferung. Und das, obwohl jene, die Ihnen nahe stehen, Sie durchaus begründbar für Ihre bis zum Wahnsinn und bisweilen sogar darüber hinaus übersteigerte Selbstsucht und fehlende Einsicht verdammen, verurteilen und vielleicht sogar fürchten.